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Die Identität als diskursive Konstruktion

Die Identität einer Person beantwortet die Frage “Wer bin ich?”. Jedoch gehen wir nicht davon aus, dass die Identität den essenziellen Kern des Selbsts einer Person bildet, sondern eine von kontextuellen Faktoren abhängige diskursive Konstruktion. Das heißt, die Antwort auf die Frage “Wer bin ich?” ist abhängig vom Kontext, in dem sie gestellt wird. 

Diese Idee basiert auf der foucaultschen Annahme, dass unsere Wirklichkeit gänzlich diskursiv geschaffen ist – der Diskurs ist mehr als bloß ein Filter, durch den wir eine objektive Realität wahrnehmen. Vielmehr ist er die Realität selber.

Wenn Diskurse unsere Realität sind, so sind es auch Diskurse, die das Wesen unserer Identitäten ausmachen. Gleichzeitig ist Identität performativ. Das heißt, sie wird durch semiotische Akte geschaffen und ist somit eine "socially meaningful practice" (Blommaert 2005: 207). 

Es besteht also eine wechselseitige Verbindung zwischen Diskurs und Identität: einerseits wird Identität durch Diskurs geschaffen, andererseits wird Identität in Handlungen durch Diskurs ausgedrückt. Identität ist also keine rein persönliche Sache, sondern entsteht in einem dialogischen Prozess zwischen dem Handelnden Individuum und den gesellschaftlichen Strukturen, in die das Individuum eingebunden ist.

Aus der Konzeption der Identität als diskursive Konstruktion folgt jedoch nicht, dass Identitäten nur in der Interaktion existieren. Auch wenn Identitäten durch semiotische Akte ausgedrückt werden, so existieren sie dennoch schon vor dieser Interaktion und konditionieren, wie die Interaktion zwischen Menschen verläuft (Blommaert 2005: 206) - eben aufgrund der diskursiven Natur realitätskonstituierender Konstrukte.

„Zusammenfassend lässt sich festhalten: Identität ist ein Konzept zum Verständnis von Selbstbildern. Mit Hilfe des Identitätskonzepts werden sich ständig wandelnde Antworten auf die Frage „Wer bin ich?“ gegeben. Identitäten werden in einem Wechselspiel von bestehenden sozialen Strukturen und verändernder Aneignung gebildet. Sie transportieren sowohl Reaktionen auf Vorgegebenes wie auch selbstgestaltete Definitionen“ (Liebsch 2016: 84).

“Über Sprachideologien werden soziale, ethnische, nationale und andere Zugehörigkeiten konstruiert” (Busch 2017: 28).

Sprache und Identität

Wir alle haben bestimmte Vorstellungen über sprachliche Mittel, welche unseren Sprachgebrauch bestimmen. Diese Vorstellungen werden unter dem Begriff «Sprachideologien» zusammengefasst. Welche sprachlichen Mittel in welcher Situation verwendet werden ist durch gesellschaftliche Konventionen definiert (Busch 2017: 20). Sprachideologien entstehen also nicht im luftleeren Raum sondern sind eine Reflektion der Machtstrukturen innerhalb der sich ein Individuum bewegt. Das heißt, der Ausdruck unserer sprachlichen Identität ist, wie jegliche anderen Ausdrücke unserer Identität, gesellschaftlich, i.e. durch Diskurse, geprägt. Diese Sprachideologien werden uns im Verlaufe unserer Sprachsozialisierung vermittelt, also in dem Prozess, wo wir lernen, Sprache in sozialen Situationen kompetent zu verwenden (Schieffelin und Ochs 1986: 168).

Im Kontext von Migration heißt das, dass bisheriges Wissen darüber, welche sprachlichen Mittel in welchem Kontext angemessen sind, an die neue sprachliche und kulturelle Situation angepasst werden muss. Es findet gewissermaßen eine zweite Sprachsozialisierung statt, in der einer Person die eigene sprachliche Identität aufgrund der Anderssprachigkeit im neuen Umfeld bewusst wird (Busch 2017: 18). 

Herkunft und Identität

Die Teilnehmenden unserer Untersuchung sind alle die Söhne von italienischen Einwanderern nach Österreich. Die Herkunft einer Person an sich ist ein biografischer Fakt, eine Tatsache die sich aus der familiären Geschichte einer Person ergibt. Ob und in welchem Maße sich eine Person jedoch ihrer Herkunft verbunden fühlt, hängt von verschiedenen Faktoren ab.

Die drei Teilnehmenden haben einen großen Teil ihres Lebens außerhalb des Herkunftslandes ihrer Eltern verbracht, zogen jedoch alle zu einem unterschiedlichen Zeitpunkt ihres Lebens nach Österreich. Was sie jedoch eint, ist, dass sie nicht aus freien Stücken nach Österreich gezogen sind, sondern mit ihren Eltern. Wir gehen davon aus, dass der Umzug in ein anderes Land während der Entwicklungsphase eine einschneidende Wirkung auf eine junge Person und deren Identität hat: “Die Emigration bringt nicht nur eine neue Art zu leben, sondern auch eine neue Art zu fühlen mit sich, Es handelt sich um eine langsame, graduelle, nicht immer linear verlaufende Veränderung. Die Identität eignet sich neue Werte an, die entweder an ältere angegliedert werden, sich diesen entgegenstellen oder diese ersetzen” (Meyer Sabino 2003: 185). Wie genau dieser Prozess verläuft, ist von Person zu Person unterschiedlich und es wäre falsch, hier von einer homogenen Gruppe junger Einwanderer auszugehen.

Für einige Menschen kann die Emigration die vollständige Assimilation an die neue Kultur bedeuten, andere betonen ihre Herkunft umso mehr, während wiederum andere sich mit beiden oder gar keiner der Kulturen identifizieren können (Wessendorf 2010). Die Gründe hierfür sind vielfältig. Unsere Aufgabe war es, die Art der Identifikation und die Gründe hierfür bei den Teilnehmern unserer Studie ausfindig zu machen. 

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